Ich will nicht nur leuchten – ich will ganz sein
Ich bin nicht hier, um über allem zu schweben – ich bin hier, um durch alles hindurch zu gehen.
Warum Heilung manchmal laut, wütend, hässlich und wild ist – und sein muss.
Ein Plädoyer für eine Spiritualität, die auch durch Dunkelheit führt
🕊️ Lesezeit: ca. 9 Minuten | Ein Raum für das, was echt ist
✦ Der weichgespülte Glitzer-Spirit-Kult
Ich weiß nicht, wann genau es passiert ist – aber irgendwann ist aus „Spiritualität“ ein Instagram-Filter geworden. Ein ästhetischer Trend. Ein ätherischer Look. Ein ewiger Glanz aus Licht & Liebe. Aus Mandalas, Räucherstäbchen und „Ich bin so sehr in meiner Mitte.“
Ich gönne jedem Menschen seine Mitte. Ich feiere Licht & Liebe – wirklich.
Aber weißt du was? Ich will mehr als Licht. Ich will Wahrheit. Und Wahrheit ist nicht immer Instagram-tauglich.
Wahrheit heißt für mich auch, die Dunkelheit nicht sofort zu übermalen. Nicht reflexhaft den „Positiv denken und fühlen“-Filter über jede Regung zu legen, nur damit es sich schnell wieder hell anfühlt.
Manche Täler wollen nicht übersprungen werden. Sie wollen gegangen werden – Schritt für Schritt. Nicht vom nächsten „Feel-Good“-Mantra nach oben gezogen, sondern von innen her verstanden, durchfühlt, durchgearbeitet.
Während draußen „High Vibes only“ gepredigt wird, kämpfe ich mich manchmal durch Schattentäler, Zweifel, Kontrollmuster, Angst, Scham.
Ich bin nicht immer leuchtend. Ich bin nicht immer weich. Ich bin nicht immer „lieb zu allem, was mir begegnet“. Und ich glaube: Das muss ich auch nicht sein.
Ich bin ein Mensch – ein Wesen mit Nervensystem, Vergangenheit, Triggern und Wunden. Und ich bin eine Seele – tief verbunden, wach, lauschend.
Aber diese beiden Anteile leben nicht getrennt voneinander. Sie tanzen zusammen. Oft im Chaos. Oft in Widersprüchen.
✦ Wenn Heilung nicht schön aussieht
Manchmal sieht meine Heilung nicht nach Licht und Sanftheit aus.
Manchmal sitzt da ein Kloß in meinem Hals, mein Herz schlägt schneller, und alte Geschichten drängen nach oben – ob ich bereit bin oder nicht.
Ich merke es in einem Pinselstrich, der plötzlich wie ein Schlag wirkt – nicht geführt, sondern herausgerissen aus etwas, das ich lange festgehalten habe.
Ich merke es in Worten, die mir wie Funken aus den Fingern springen, zu scharf, zu wahr, um sie einfach stehen zu lassen – und doch unmöglich zu ignorieren.
Und manchmal kommen die Tränen nicht leise, sondern stoßweise, als würde eine innere Wand brechen und alles, was wild, ungeordnet und jahrzehntelang brave Energie war, endlich frei laufen.
Genau dort ist die Versuchung groß, schnell wieder „gut drauf“ zu sein. Ein paar positive Affirmationen, ein Lichtbild, ein Mantra – und zack, die Oberfläche glänzt wieder.
Aber Heilung heißt für mich, genau in diesen Momenten nicht wegzulaufen. Die Dunkelheit mit all ihrem Schmerz auszuhalten. Hinsehen, atmen, bleiben, bis sich aus ihr heraus ein eigenes Licht zeigt – nicht eines, das ich künstlich anknipse, sondern eines, das sich von innen meldet, weil ich da war, statt mich herausbeamen zu wollen.
Heilung ist für mich kein Wellnessprogramm. Sie ist ein Aufbrechen.
Ein inneres Beben, das sagt: Es reicht. Ich will wahr sein.
✦ Die Wahrheit liegt nicht im Licht – sondern im Dazwischen
Je weiter ich mich spirituell entwickle, desto mehr Abgründe tun sich manchmal auf.
Und das ist keine Schwäche. Das ist das Echo des Lichts.
Denn wer tief schaut, sieht nicht nur Engel, sondern auch alles, was zwischen uns und ihnen steht.
Spiritueller Weg bedeutet für mich nicht, immer schneller wieder „ins Licht“ zu kommen, sondern den Mut zu haben, im Dunkeln sitzen zu bleiben, bis ich erkenne, was dort wirklich ist. Nicht jedes Tal ist ein Fehler im System. Manche Täler sind Initiation.
Und das Licht am Ende des Tunnels erscheint nicht, weil ich mir nur lange genug helle Gedanken einrede, sondern weil ich den Tunnel tatsächlich gegangen bin.
Ich habe keine Lust mehr, mich dafür zu schämen, dass ich nicht jeden Tag erleuchtet bin.
Ich habe keine Lust mehr, mich zu zensieren, nur weil meine Wahrheit nicht weichgezeichnet ist.
Ich will keine Spiritualität, die nur funktioniert, wenn man gut drauf ist.
Ich will eine, die auch durch Dreck geht.
Durch Dunkelheit. Durch Wut, Angst, Ehrlichkeit, Echtheit.
Ich glaube nicht an das Märchen vom „Immer lieb sein“.
Ich glaube an das Feuer, das heilt. An die Klarheit, die weh tut.
An das Ringen mit sich selbst – authentischer als jedes perfekt kuratierte Grid.
Ich glaube an Gott in Tränen. An Heilung im Widerspruch.
An Licht, das erst sichtbar wird, wenn es durch den Schatten fällt.
✦ Wo du mich findest
Wenn du mich suchst – du findest mich nicht nur in meinen lichten Momenten.
Du findest mich in der Stille nach dem Weinen. In einem Pinselstrich, den ich aus Schmerz ziehe. In einem Gedicht, das nicht „schön“, aber echt ist. Du findest mich dort, wo ich mir selbst nicht mehr ausweiche.
Spiritualität ist für mich kein Zustand, sondern ein Weg – ein langer Weg.
Und dieser Weg führt nicht nur nach oben. Er führt nach innen. Durch.
Und manchmal ist das der heiligste Ort von allen.
✦ Für dich, wenn du nicht nur leuchten kannst
Wenn du dich manchmal fragst, ob mit dir etwas nicht stimmt, weil du nicht immer „high vibe“ bist.
Nein!
Deine Tiefe ist kein Fehler.
Deine Tränen sind kein Rückschritt.
Deine Wut ist kein Beweis gegen deine Seele.
Vielleicht ist genau das der Ort, an dem deine Spiritualität am ehrlichsten ist. Nicht dort, wo du dich ins Licht flüchtest, sondern dort, wo du im Dunkeln sitzen bleibst, bis du merkst:
”Ich bin auch hier noch gemeint. Ich bin auch hier noch gehalten.”
Erlaubst du dir, nicht nur zu leuchten, sondern ganz zu sein?
✦ Nachwort (wenn du tiefer mitgehen möchtest)
Manchmal tauchen Themen in unserem Leben genau dann auf, wenn ein Teil von uns bereit ist, wahrzunehmen, was lange im Schatten lag – auch wenn es sich in dem Moment ganz und gar nicht so anfühlt. Ich habe oft erlebt, dass ich erst hinterher verstanden habe, warum ein bestimmtes Tal sich genau dann gezeigt hat.
Von außen sieht es manchmal aus wie ein Einsturz. Innen aber sagt etwas: „Jetzt. Jetzt will ich endlich gesehen werden.“
Und ja, manchmal dachte ich wirklich: „Das ist zu viel. Zu schmerzhaft. Das schaffe ich nicht.“ Doch meine Seele hat schon so viele Male gehalten, was ich für unhaltbar hielt.
Vielleicht kennst du das auch.
Und in all meinen Tälern gab es etwas, das leiser war als Angst und stärker als Dunkelheit: eine Führung, die nicht drängt, sondern mitgeht.
Ich glaube daran, dass wir geführt, getragen und gehalten werden, besonders dort, wo wir selbst kaum noch Halt finden. Du musst diesen Weg nicht allein gehen.
Nenn es Geistführer, Schutzengel, Gott – ich spüre, dass ich da nicht allein unterwegs bin.
Auch du nicht.
Manchmal trägt uns das Licht nicht heraus.
Manchmal geht es einfach neben uns, Schritt für Schritt, bis wir wieder aufatmen können.
✦✦✦
Bis bald, du Seelenlicht.
Möge Liebe dich leiten, und Licht dich begleiten.
In Verbundenheit,
Christiane Possmayer
Autoren-Notiz:
Es gibt Texte, die schreiben sich nicht aus Inspiration, sondern aus Notwendigkeit. Dieser hier ist einer davon.
Ich habe ihn geschrieben, weil ich selbst immer wieder an Orte gelange, an denen Licht nicht reicht, Affirmationen nichts ausrichten und „High Vibes“ nur wie ein Zudecken wirken würden.
Weil ich glaube, dass echte Spiritualität nicht weichzeichnen, sondern wahrmachen will.
Und weil ich weiß, wie heilsam es sein kann zu hören: “Du bist nicht falsch, wenn du im Dunkeln sitzt. Du bist nicht allein, und du musst dich nicht beeilen.”
Dieser Text ist mein Versuch, dem Raum zu geben, was oft keine Worte bekommt – und vielleicht findest du darin auch ein Stück von dir.
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